13.08.2023 | 15:00
Hannover
Sprengel Museum Hannover
POLYpontes
asambura ensemble
ZYKLUS ÜBER VERGANGENHEIT & GEGENWART. AKUSTIK & ELEKTRONIK. ZWISCHEN IRANISCHEN UND EUROPÄISCHEN MUSIKTRADITIONEN
Ehsan Ebrahimis Musik kommt aus dem Schmerz. Schmerz ist das Zentrum – unabhängig von individuellen Lebensumständen und universell gültig für jedes Leben, immer und überall. Schmerz ist unvermeidbar, gehört existentiell zum Leben wie auch der Tod. Schmerz ist ungleich umfassender und abstrakter als Trauer.
Schmerz in der Einsamkeit allerdings ist besonders. Schmerz in der Einsamkeit kann sich mit nichts und niemandem verbinden. Ein solcher Schmerz braucht Verbindungen, die aus der Einsamkeit herausführen. Der Zyklus POLYpontes sucht solche Verbindungen. Die Pole, zwischen denen POLYpontes Brücken schlägt, zeigen sich als Orientierungspunkte in der vielfältigen, widersprüchlichen und verwirrenden Landschaft, in der eine sehr spezifische Einsamkeit erwächst – die Einsamkeit von Fremdheit, Entwurzelung, Heimat-Verlust und Sehnsucht.
Die Brücken in POLYpontes bilden ein mehrdimensionales Netz von einander über- und unterkreuzenden Verbindungen. Auf den Wegen über die Brücken begegnen und berühren sich ursprüngliche Gegensätze.
Klassische Musik Mitteleuropas trifft auf traditionelle Volksmusik des Khorasan (einer heute dem Nordost-Iran zugerechneten Region, deren Jahrtausende alte Geschichte von immenser kultureller und religiöser Vielfalt zeugt). In dieser alten persischen Musik wiederum findet sich ein Echo „Alter Musik“ Mitteleuropas wieder. Alte Musik kontrastiert ihrerseits mit dem Klang zeitgenössischer Musik, welche den Spannungsbogen zwischen elektronischen und akustischen Klängen in sich trägt.
POLYpontes spielt mit der Unterscheidung von wahren und verfremdeten Klängen und setzt für die Mischung der Klänge neben elektronisch abgemischten akustischen Instrumenten auch Liveelektronik ein.
Eine wiederholungsreiche Vielzahl rhythmischer Pattern erzeugt einen Groove, welcher womöglich auf die Beantwortung der Frage zutreibt, wie denn Verbindung entstehen kann – wie also der Schmerz den Weg aus der Einsamkeit finden könnte. In Ehsan Ebrahimis Komposition führt dieser Weg über mehr als nur eine Brücke – hin zu der Gemeinsamkeit des unvermeidbaren Schmerzes aller. Der Zyklus POLYpontes endet also mit einer Friedensvision.
Jedes der Stücke von POLYpontes ist einem von fünf Menschen gewidmet, die im letzten Jahr in der Revolution im Iran starben:
Mohammad Hosseini wurde 40 Jahre alt. Er war so einsam in seinem Leben, dass es nach seiner Hinrichtung niemanden gab, der seine Leiche hätte begraben können.
Kian Pirfalak starb im Alter von 9 Jahren. Sein Traum war es, ein Wissenschaftler zu werden.
Die 22-jährige Mahsa Jina Amina war die erste Tote der letzten Revolution. Sie starb, weil sie ihr Haar nicht bedeckt hatte.
Nika Shakarami wollte singen. Sie wurde nur 17 Jahre alt.
Das Leben von Sarina Esmailzadeh dauerte 16 Jahre – es hätte langes und ein besseres Leben sein sollen.
Uraufführung • 2023 Hannover • mit Videoinstallationen von Andre Bartetzki
Schirmherr: Oberbürgermeister Belit Onay
Kompositionsauftrag der Ernst von Siemens Musikstiftung