22.04.2018 | 17:00
Hannover
Staatsoper Hannover
6. Sinfoniekonzert 2017/2018
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
»Ich glaube nicht an simple Gegensatze, an Schwarzweiß, an richtige und falsche Perspektiven. Es gibt ja unendlich viele gleichberechtigte Perspektiven der Realität.« Diese Aussage des italienischen Komponisten Luciano Berio (1925–2003), der im Fokus des Festivals »Klangbrücken« steht, benennt einen zentralen Aspekt seines facettenreichen Schaffens, das sich nie einer ästhetischen Doktrin unterordnen ließ. Zwar nahm Berio regen Anteil an der seriellen Avantgarde der 1950er-Jahre, er schuf experimentelle Werke für verschiedenste Besetzungen und beschäftigte sich mit elektroakustischer Musik. Jedoch benutzte er die Kompositionstechniken in undogmatischer Weise und stellte sie in den Dienst der Sprachfähigkeit der Musik. In seinen Vokalwerken ist nicht nur das Wort ein Baustein, sondern alle Arten stimmlicher Artikulationsweisen, die jenseits semantischer Eindeutigkeit als Ausdrucksmittel dienen. Wichtige Impulse erhielt er dabei von James Joyce, aber auch vom literarischen Schaffen seiner Zeitgenossen wie Italo Calvino oder Umberto Eco, und solche Einflüsse schlugen sich immer auch in der bildhaften Sprache seiner instrumentalen Werke nieder.
Im Zentrum des Programms steht mit der Sinfonia« eines von Berios Hauptwerken, das ein wesentliches Charakteristikum seiner Ästhetik zeigt: die Verschränkung und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Musiksprachen und Stilistiken. Der »Kernreaktor« der fünfsätzigen »Sinfonia« ist der mittlere Satz, eine Collage auf der Basis des Scherzos aus Mahlers 2. Sinfonie, aus dem eine Fülle musikalischer und literarischer Zitate, von Bach bis Stockhausen, von Joyce, Beckett oder Levi-Strauss, herausgeschleudert werden und einen multiperspektivischen musikalischen und geschichtlichen Raum bilden.
Umrahmt von zwei kürzeren Kompositionen Berios erklingt im ersten Teil des Programms Mahler im Original, und zwar mit seiner sinfonischen Dichtung »Todtenfeier«, die er später zum Eröffnungssatz seiner 2. Sinfonie umarbeitete, und dem »Wunderhorn«-Lied »Des Antonius zu Padua Fischpredigt«, dessen erweiterte instrumentale Version das Scherzo der 2. Sinfonie bildete, das wiederum Berio zum Ausgangspunkt seiner »Sinfonia« nahm – ein work in progress in progress …
im Rahmen des Klangbrücken-Festivals